Rede zur feierlichen Entlassung der Abiturientinnen und Abiturienten am Christoph-Probst-Gymnasium
Gilching, 29. Juni 2018
Die Zeit der Bewertungen ist vorbei.
Zumindest legen wir eine kurze Pause ein bis das Studium beginnt, eine Ausbildung, et cetera.
Wir wurden nun ein dutzend Jahre diszipliniert, durch sämtliche Vorschriften, frühes Aufstehen, leise Sein und so weiter – jetzt passen wir in die deutsche Disziplinargesellschaft.
Zur Disziplinierung gehörte auch die Bewertung, die Einteilung in Skalen – eins bis sechs, null bis fünfzehn. Gerade in der Oberstufe ist das Bewusstsein stark, dass fast jeder Unterrichtsbeitrag für die Note ist. „Bringpflicht“ heißt das hier.
Lernen wird hier zum Mittel zur Erlangung von Noten und ist nicht mehr Selbstzweck. Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, weiß ich, was Lernen bedeuten kann, ohne Druck von außen, aus innerer Motivation, einfach Lust am Lernen, ohne institutionalisier-tes Ziel. Das haben die meisten von uns – fast alle – in großen Teilen verloren, und die meisten hier – ich wahrscheinlich auch – werden bald im Studium weiter bewertet.
Und genau deshalb müssen wir aufpassen, was wir mit unserem Leben machen, dass wir nicht von Bewertungen abhängig werden und uns fragen, ob der angesehenste und finanziell günstigste Lebensweg der richtige für uns ist.
Bis jetzt hat uns die Schule vorgegeben, wie wir unsere Zeit einteilen, was wir denken, mit welchen Themen wir uns beschäftigen. Der Weg, der durch die Schule so genau vor-gezeichnet war, und uns damit Halt und Sicherheit gegeben hat, hat uns auch beengt und es uns schwer gemacht, das zu leben, was wir sind – jeder und jede für sich. Manche haben sich mehr angepasst, manche weniger, aber wir alle haben jetzt die Möglichkeit, uns für den Lebensweg zu entscheiden, der sich jetzt am passendsten anfühlt, also unse-ren eigenen Weg zu gehen. Doch nach all den Jahren im System fällt es uns schwer, uns daran zu erinnern, warum wir eigentlich hier auf der Erde sind.
All die Möglichkeiten, die jetzt vor uns liegen, bilden eine große Freiheit, die wir so seit unserer frühesten Kindheit nicht mehr oder noch nie hatten.
Gepaart mit dem Wissen, dass die Schule uns vermittelt hat, ist diese Freiheit auch eine Macht, die wir nutzen können, um uns selbst ein sinnvolles, erfülltes Leben zu ermöglichen.
Und als Menschen, also als mächtige Wesen auf dieser Erde, haben wir damit auch eine Aufgabe, eine Verantwortung gegenüber unserer Mitwelt.
Und mit Macht meine ich hier nach Michel Foucault, „ein Ensemble von Handlungen, die sich auf mögliches Handeln richten“, oder kurz gesagt, „auf Handeln gerichtetes Handeln“. Das heißt für mich, wir sollten uns in unseren Taten ständig der Verant-wortung vor uns selbst und unseren Mitwesen bewusst sein.
Diese Überlegung kann und sollte unter anderem Auswirkungen auf unser Kaufverhalten haben. Denn ich denke, Konsum darf nicht als Kompensationsmittel gesehen werden, das alles ausgleicht, was uns auf sozialer und spiritueller Ebene fehlt; das funktioniert ja sowieso nicht so richtig. Wir müssen Konsum vielmehr als aktive Gestaltung unseres Fuß-abdrucks, also als Erfüllungsmöglichkeit unserer Verantwortung, sehen.
Mit überlegtem Konsum können wir die Wirtschaft grundlegen reformieren. Zum Beispiel im Bereich der Landwirtschaft: Da für mich nämlich auch Rinder, Schweine und Hühner zu den Mitwesen gehören, mit denen wir würdevoll umgehen müssen, habe ich mich entschieden die Tierproduktindustrie nicht mehr zu unterstützen; ich bin also vegan geworden.
Eine weitere Möglichkeit, Verantwortlichkeit voranzubringen, sehe ich zurzeit in der Politik. Deshalb bin ich vor knapp einem Dreivierteljahr in eine Partei eingetreten, deren Programm in meinen Augen für eine Politik der Verantwortung steht. Und da erlebe ich gerade, wie schwierig es ist, genügend Unterstützungsunterschriften für die Teilnahme an der Landtagswahl zu bekommen.
Es gilt also nun für uns alle, einen gangbaren Weg zwischen dem Verfolgen persönlicher Ziele zu einem erfüllten Leben und unserer Verantwortung als handelnde und ständig entscheidende Wesen zu finden. Und letztendlich sollte doch beides Hand in Hand ge-hen. Eigentlich sind wir doch auch glücklicher, wenn wir Ziele, Ideale, Visionen haben, die über die eigene Karriere hinausreichen, und für die wir uns einsetzen. Auch wenn wir dabei in noch so kleinen Schritten vorankommen.
Für mich ist ein solches Ziel die Einführung und Umsetzung von Tierrechten, aber auch eine Gesellschaft, die auf Solidarität basiert; Hashtag Bedingungsloses Grundeinkom-men.
Wir wissen alle, dass wir eine Veränderung brauchen, die alle betrifft, deshalb lasst uns eine Generation sein, die diesen Wandel lebt !
Lasst uns achtsam gestalten, was wir in der Welt bewirken !
Gilching, Abiturrede am 29.06.2020 Abirede Felix Hahn